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Schriftstellerei: Missverständnisse zu Testlesern

von Thomas Poppner

Allgemeines zum Testlesen

Du hast endlich einen längeren Text fertiggestellt. Natürlich ist es das Beste, was die Welt je gesehen hat. Dies sollen dir nun Testleser bestätigen. Voller Tatendrang machst du dich an Fragebögen und erstellst ein genaues Auftragsprofil, auf was denn alles zu achten ist. Vielleicht lässt du sogar einen Probedruck erstellen, damit deine Testleser direkt auf Papier ihre Anmerkungen machen können. Ebenso plötzlich wie unerwartet kommt dann die Stunde der Wahrheit und alles ist völlig anders, als du es dir vorgestellt hast.

Missverständnis Nr. 1: Nicht jeder, der sich zum Testlesen meldet, liest dein Zeug auch

Unsere heutige Zeit ist sehr schnelllebig und viele sagen etwas zu, das sie dann nicht durchhalten. Das ist unschön, aber so läuft es in der Welt.

Missverständnis Nr. 2: Nur weil du dir Mühe machst, machen sich Testleser nicht unbedingt die gleiche Mühe

In einem Forum habe ich gelesen, dass eine Neu-Autorin extra Probedrucke ihres Werks hatte anfertigen lassen. Es ist so traurig zu lesen, dass davon dann keins zurückkam. Es macht also Sinn, den Mühe-Faktor auch als Autor etwas zurückzufahren. Vielleicht tuts auch einfach ein PDF.

Missverständnis Nr. 3: Testleser sollen froh sein, deinen Text lesen zu dürfen

Nein, leider ist es umgekehrt. Ein unfertiger Text ist eben nicht immer eine Freude zum Lesen. Und du wünschst dir auch, dass deine Testleser sich damit beschäftigen. Das ist Arbeit – kostenlose Arbeit. Daher solltest du dankbar darüber sein, wenn Testleser ordentlich arbeiten.

Missverständnis Nr. 4: Die Leute sagen dir die Wahrheit

Wir wünschen uns alle, dass man uns doch einfach die Wahrheit ins Gesicht sagt. Tatsächlich scheint das nicht so einfach zu sein. Es kann sein, dass dein Text – gerade von Freunden – über den grünen Klee gelobt wird. Du wartest dann auf die Endmeldung, aber es kommt nichts. Du fragst nach und triffst wieder auf Beigeisterung … mit einer kleinen Einschränkung. Gerade ist viel Stress auf Arbeit, im nächsten Urlaub oder sonstwann soll es weitergehen. Vergiss das, schreib die Leute ab und sprich sie auch nicht mehr an. Du ersparst dir damit, dich über sie zu ärgern.

Missverständnis Nr. 5: Dein Ärger verändert die Welt

Dein Ärger über die Situation erreicht lediglich eins: Du lenkst dich ab und vernachlässigst das Schreiben. Es macht keinen Sinn, sich darüber zu ärgern, wie andere Leute sind. Bei Testlesern gilt: Erwarte nichts, nimm, was dir gegeben wird und mach das Beste daraus. Und bleib vor allen Dingen entspannt.

Ich habe nun einige Erfahrungen sammeln können und erhalte bei Testleserunden relativ konstante Ergebnisse. Darum stelle ich einfach mal eine Theorie auf, mit was du so rechnen könntest. Gehen wir also mal davon aus, dass sich in einer Testleserunde 8 Leute bereiterklären, dein Zeug probezulesen. Mit welchem Ergebnis kannst du rechnen?

8 Testleser melden sich

Ich mache meine Aufrufe zum Testlesen gewöhnlich bei Facebook. Es gibt da mehrere Gruppen für sowas. Einige sind frequentierter, andere nicht. Dem begegnet man, indem man einfach in allen Gruppen zum Thema Test- oder Betalesen postet. Auf deinen Aufruf melden sich acht Interessenten. Schauen wir mal, was davon am Ende so übrigbleibt.

4 Testleser melden sich nicht mehr

Die Hälfte deiner Interessenten kannst du schon mal abschreiben. Die lassen sich deinen Text schicken und werden sich nie mehr bei dir melden.

Sicher: Du kannst nachfragen, dann erhältst du Ausflüchte. Manchmal ist auch das Meerschweinchen gestorben und die darauf folgende Depression machte das Testlesen unmöglich.

Es ist eigentlich egal, ob und welche Erklärung du erhältst. Geh am besten von vorne herein davon aus, dass die Hälfte abspringen wird. Wenn man davon von Anfang an ausgeht, spart man sich sehr viel Frust. Niemals vergessen: Frust ändert nichts, außer dass du Scheiße drauf bist. Deine Testleser wollten kostenlos für dich arbeiten. Nun tun sie es nicht. Also entspann dich und schreibe die Hälfte einfach direkt ab.

4 Testleser beginnen mit deiner Geschichte

Halleluja – vier Testleser von ehemals achten beginnen tatsächlich mit deiner Geschichte. Du glaubst, nun wird alles gut? Weit gefehlt.

2 Leuten gefällt deine Geschichte nicht

Die Hälfte derer, die dein Buch anlesen, werden es nicht mögen. Sie werden dir das auf unterschiedliche Weise zurückspiegeln.

  1. Da gibt es die netten Menschen, die dir freundlich schreiben, dass es nicht ihr Ding ist.
  2. Alternativ dazu gibt es Leute, die dich mit einer Flut von Verbesserungsvorschlägen überhäufen und ankündigen, dass sie sich deinen Text vornehmen werden, um ihn zu überarbeiten und dir zu zeigen, wie es richtig geht. Du wirst niemals wieder von ihnen hören. Ist auch sicher besser so.
  3. Schließlich gibt es noch die "Profis". Die machen zumindest den Eindruck, Profis zu sein und sparen nicht mit deutlichen Worten an Kritik. Einiges an deren Kritik ist berechtigt, anderes nicht. Du erkennst aber an deren Ausdrucksweise, dass deine Geschichte nicht ihr Ding ist. Sie werfen dich nun mit Kritik zu, um dir nicht schreiben zu müssen, dass sie keinen Bock haben, um weiterzulesen. Wenn dir alle sowas schreiben, ist dein Text wirklich schlecht. Wenn es nur vereinzelte Leute sind, hake sie ab. Die sind nicht deine Zielgruppe, halten dich nur auf und drücken die Stimmung.

Von 2 Leuten erhältst du Rückmeldungen

Mit acht Testlesern hattest du mal angefangen. Vier haben deine Story zumindest angelesen. Zweien davon gefiel die Geschichte nicht. Bleiben noch zwei übrig. Wie werden die sich verhalten?

Eine Rückmeldung ist sehr kurz

Es ist aus deiner Sicht traurig, aber wahr: Einer deiner beiden Testleser, der dir eine Rückmeldung gibt, wird sich damit sehr kurz halten.

Du bekommst am Ende seiner Arbeit eine E-Mail. Darin ist ein Lob enthalten und ein paar nichtssagende Sätze. Meistens, wenn jemand bis zum Schluss durchhält, sind diese Mails positiv und enthalten keine niederschmetternden Botschaften. Aber alles, was du aus dieser Art Rückmeldung herauslesen kannst, ist, dass deine Geschichte jemandem gefallen hat. Das ist schon mal etwas, wenn auch nicht das, was du dir gewünscht hast.

Bleibt also noch ein Testleser übrig.

Ein Testleser arbeitet vorbildlich

Dieser letzte Testleser macht sich wirklich Mühe. Ob es tatsächlich die Art von Mühe ist, die du dir gewünscht hast, ist eine andere Sache.

Manchmal erhältst du dein Dokument zurück und nahezu alle Rechtschreibfehler sind korrigiert. Das ist lobenswert, aber du wolltest ja eigentlich noch an den Formulierungen feilen. Trotzdem nett, dass jemand sich so viel Mühe gemacht hat.

Worauf du keinen Einfluss hast, sind die Prioritäten der Testleser. Denn natürlich fasst jeder deinen Text anders auf. Jeder legt Wert auf andere Dinge. Auch wenn jemand sich sehr viel Mühe mit deinem Text macht, kann es sein, dass wesentliche Fragen unbeantwortet bleiben. Es ist aber auch möglich, dass Defizite bemängelt werden, die dir nicht bewusst waren.

Fazit zum Umgang mit Testlesern und Testleseergebnissen

Regel Nr. 1: Niemals sauer werden

Du hast keinen Anspruch darauf, dass jemand kostenlos für dich arbeitet. Also erwarte es gar nicht erst, sondern freue dich über das, was zurückkommt.

Regel Nr. 2: Niemals aufgeben

Es hat bei dieser Testleserunde nicht geklappt, die Ergebnisse zu erhalten, die du gern erhalten hättest? Kein Problem. Starte einfach eine neue. Bei den nächsten Testlesern wird vielleicht jemand dabei sein, der eher in deinem Sinn arbeitet oder dich sogar mit seinen Hinweisen überrascht.

Regel Nr. 3: Die Wochenregel

Wenn beim Testlesen herauskommt, dass Teile der Story Scheiße sind, hast du einen natürlichen Abwehrtrieb. Aber du hast ja gerade deine Story an Testleser herausgegeben, damit dir solche Stellen auffallen. Gleichzeitig ist es aber dein Text. Du darfst auch nicht alles umsetzen, was Testleser so bemängeln, sonst wirst du niemals fertig. Wichtig ist also ein Kompromiss zwischen dem, was dir gefällt und dem, was ankommt.

Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, mit der Bewertung von krassen Hinweisen zu warten. Wenn mir jemand ein dickes Defizit in meinem Text aufzeigt, warte ich eine Woche. Während dieser Woche ändert sich mein Denken. Zunächst ist da dieser Abwehrtrieb und der Wunsch, Kritik von Testlesern einfach wegzuargumentieren. Eins, zwei Tage später bildet sich leichtes Verständnis. Bei Tag drei und vier ringt man mit sich und ist der Ansicht, dass es einfach zu viel Arbeit wäre, die gemeldeten Defizite aus dem Text auszumerzen. Tag fünf und sechs lässt dich dann aber das Thema nicht mehr schlafen, bis du schließlich bei Tag sieben sagst: Leck mich am Arsch, ich schreib die Scheiße jetzt neu.

Glaub mir, ich weiß, was es heißt, die Scheiße neu zu schreiben. Im Band 3 meiner Fantasygeschichte habe ich 130 Seiten rausgeworfen und 80 komplett neu geschrieben. Da willst du dir fast einen Therapeuten suchen. Und wenn du dann ein halbes Jahr später den nächsten Testleser drüberschickst, schreibt er dir vielleicht sowas:

Auf jeden Fall: Gratulation zu diesem Band! Man merkt, dass du sehr viel Arbeit dort hineingesteckt hast.

Das ist tatsächlich geschehen. Darum: Kopf hoch, wenn du Kritik einstecken musst. Mach dir ein Bild und wenn du die Kritik nachvollziehen kannst, dann merze die Problemstellen aus – auch, wenn es viel Arbeit bedeutet. Denn dafür machst du das mit dem Testlesen.

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